Seniorenkolumne Teil 3

65 Jahre mit angeborenem Nystagmus: Die Seniorenkolumne von Robert*

Nystagmus im Beruf

Beruflich lief mein ganzes Leben alles gut, obwohl ich immer noch meinem Traumberuf nachtrauerte. Auf die meisten meiner Bewerbungen bekam ich aufgrund meiner Zeugnisse fast immer ein Vorstellungsgespräch. Wahrscheinlich bekam ich einige Stellen nur wegen meines Nystagmus nicht. Aber nur einmal wurde ich gefragt, ob ich denn so nervös sei. Ich verneinte dies ohne eine Erklärung abzugeben. Diese Stelle habe ich natürlich nicht bekommen. Meinen Nystagmus habe ich nie angesprochen. Entweder er wird von meinem Gegenüber bemerkt oder auch nicht. Ich habe meine Stellen im Leben mehrmals gewechselt. Bereits mit 26 Jahren bekam ich meine erste Stelle als Abteilungsleiter und damit mein eigenes Büro. Das war überwiegend in meinem ganzen Berufsleben so und da fühlte ich mich unbeobachtet. Nystagmus und Kopfwackeln hin oder her.

In einer Firma hatte ich eine Kollegin, die ein kleines Kind mit Nystagmus hatte. Sie hatte nichts Besseres zu tun, als allen zu erzählen, dass ihr kleiner Sohn das Gleiche hat wie ich. Bei jeder Zusammenkunft unter Kollegen, musste sie das immer wieder betonen: „Schaut, wie seine Augen ‚marschieren‘, das hat mein Sohn auch.“ So wusste es jeder im Büro, auch die, die es sonst nie bemerkt hätten. Irgendwie war mir das aber doch peinlich, ich hatte nun Gewissheit, dass es inzwischen jeder wusste.

Als ich gerade mal wieder beabsichtigte, die Stelle zu wechseln und einige erfolglose Vorstellungsgespräche führte, sah ich doch deutlich einen Zusammenhang mit meinem Nystagmus. Also kaufte ich mir eine Brille mit oben ziemlich dunkel getönten Verlaufsgläsern und ließ so auch Bewerbungsfotos machen. Mit dieser dunklen Brille führte ich dann auch meine Vorstellungsgespräche. Ich wurde nie auf diese dunkle Brille angesprochen, also schien man es zu akzeptieren. Und ich bekam eine neue Stelle. Ab Antritt der neuen Stelle gehörte diese dunkle Brille dann zu meinem Alltag, zumindest im Büro oder wenn ich sonst die Wohnung verließ. Es hätte mich ja einer der Kollegen im Ort sehen können. Es waren gerade wie heute die übergroßen Gestelle Mode, also bedeckten die dunklen Gläser mein halbes Gesicht. Ganz wohl gefühlt habe ich mich damit nie. Ob ich mir damals einen Gefallen damit getan habe, weiß ich nicht. Meine Kollegen behandelten mich jedenfalls distanziert. Das ging gut ein halbes Jahr so weiter, jeder kannte mich in der Firma nur mit der dunklen Brille. Natürlich konnte ich mit den dunklen Gläsern bei Nacht nicht Auto fahren. Also musste ich auf dem Parkplatz im Winter die Brille wechseln. Bis ich es einfach morgens mal vergaß und ich plötzlich mit normalen Gläsern im Büro stand. Die andere Brille lag im Auto, weit weg auf dem Parkplatz. Von da an, traute ich mich dann gar nicht mehr, die dunkle Brille im Büro zu tragen. Das Thema war erledigt. Übrigens bekam ich die bei meiner Einstellung vorgesehene Stelle als Bereichsleiter doch nicht und der nächste Stellenwechsel stand an. Von einer dunklen Brille nur wegen des Nystagmus kann ich aus meiner Erfahrung heute nur abraten. Die Möglichkeit, jemanden nicht in die Augen schauen zu können irritiert wohl mehr als ein Nystagmus.

Fortsetzung folgt.

*Name anonymisiert.