Seniorenkolumne Teil 4

65 Jahre mit angeborenem Nystagmus: Die Seniorenkolumne von Robert*

Nystagmus und Partnersuche

Eine Freundin zu finden, war für mich sehr schwer. Ob es nur am Nystagmus gelegen hat? Ich begann jedenfalls in der Pubertät nachzudenken, woran es liegt, dass ich einige „Körbe“ bekam. War es die Brille? Im Alter von 14 Jahren, nachdem die Brille mal wieder kaputt war und ich über drei Wochen auf die neue warten musste, konnte ich keine Nachteile bemerken (ich konnte alles lesen und in der Ferne sah ich auch nicht viel schlechter). Also wollte ich keine Brille mehr tragen. Aber meine Eltern überzeugten mich, dass ich meine Brille weiterhin tragen „musste“. Trotzdem nahm ich sie häufig ab und fuhr nachmittags mit dem Fahrrad im Dorf herum. Das hatte dann zur Folge, dass sich einige Bekannte bei meinen Eltern beschwerten, ich sei „arrogant“ und würde sie auf der Straße nicht grüßen. Bewusst habe ich das bestimmt nicht getan, mit oder ohne Brille, wahrscheinlich hätte ich sie sowieso auf der anderen Straßenseite nicht erkannt.

Ich bildete mir dann ein, dass ein Mädchen mit Brille wahrscheinlich mehr Verständnis für mich hat und konzentrierte mich bei meinem Werben hauptsächlich auf diese. Aber auch da hatte ich wenig Chancen, auch bei der Schwester eines Schulkameraden, die gewaltig schielte. Auch diese, wie ein paar andere Brillenträgerinnen, wollte kein Date mit mir. Nicht einmal ein Mädchen mit dicken Brillengläsern, ich schätze heute so mehr als minus 10 Dioptrien. Na, was will man auch mit einem Jungen, der einen mit zittrigen Augen anschaut, dazu noch meistens den Kopf schräg hält, als sehe er einen kritisch von der Seite an? Obendrauf noch eine altmodische Brille und eine konservative Frisur. Wir waren immerhin im Jahre 1968 mit Beatles und deren Frisuren. Sowas duldeten meine Eltern aber nicht.

Die Unsicherheit war immer vorhanden: Was empfindet mein Gegenüber, fällt mein Augenzittern auf und was denkt sie darüber. Das wichtige Flirten per Blickkontakt funktioniert hier absolut nicht.

So war ich 22 Jahre, im ersten Semester, als ich meine erste Freundschaft mit einem Mädchen hatte. Ich hatte sie zufällig an meinem Studienort kennengelernt und ihr bereits beim ersten Date von meinem Nystagmus erzählt. Sie akzeptierte das einfach und es wurde mehr daraus. Sie störte sich nicht an meiner Brille, also durfte sie meine nächste Brille beim Optiker für mich aussuchen. Wenn sie gewollt hätte, dass ich keine Brille mehr trage, ich hätte es für sie gemacht. Schließlich war es in dieser Zeit immer noch ein Makel und sie sagte mir, dass sie früher nie einen Jungen mit Brille genommen hätte. Sie trug keine Brille und sah 100 %, hatte Adleraugen. Obwohl sie wusste, dass ich schlechter sah als sie, überließ sie mir das Steuer in ihrem Auto, wenn wir gemeinsam etwas unternahmen. Sie hat es nicht bereut. Manchmal sagte meine Freundin sogar: „Du siehst doch alles, manches besser als ich, besonders in der Nacht.“ Und mir wollte man Nachtfahrverbot geben. Nebenbei bemerkt: Ich fahre jetzt seit 47 Jahren unfallfrei, bin über zwei Jahre auch über 100 km zur Arbeit gefahren und wieder zurück, im Winter auch bei Nacht, Nebel, Eis und Schnee.

Noch etwas anderes: Ja, der Nystagmus führt manchmal beim anderen Geschlecht dazu, dass es der Meinung ist, dass man auf sie steht, obwohl es nicht so ist. Das Augenzittern erweckt wohl den Eindruck, dass man nervös ist oder das Gegenüber einen erregt. Diese Erfahrung habe ich ein paar Mal gemacht.

Ich weiß nicht, wie das bei Frauen mit Nystagmus ist, manche Männer mögen es vielleicht „süß“ finden, wenn eine Frau mit zittrigen Augen einen anblickt. Ich habe mich bisher noch mit keiner Frau mit Nystagmus zu diesem Thema unterhalten können.

Fortsetzung folgt.

*Name anonymisiert.