Seniorenkolumne Teil 7

65 Jahre mit angeborenem Nystagmus: Die Seniorenkolumne von Robert*

Fällt Nystagmus wirklich auf?

Wie gesagt, ich suchte immer meine Grenzen. Ich war inzwischen im Beruf weit oben angekommen. Ich gehörte zum fünfköpfigen Führungsteam in einem mittelständischen Betrieb. Mein Geschäftsführer leistete sich teure Seminare. Auch seine Führungsmannschaft konnte davon profitieren. Mehrere teure Führungs- und Rhetorikseminare waren angesagt. Ziel wie immer: Mitarbeiterführung, Präsentation, Rhetorik allgemein. So kam ich in den Genuss, auch den damals nach den Medien „teuersten Rhetorik-Trainer Deutschlands“ in einem mehrtägigen Seminar kennen zu lernen. Man musste mehrere Reden zu vorgegebenen Themen vorbereiten, alles wurde per Video aufgenommen und analysiert. Am Ende des Seminars frage ich diesen Seminarleiter, ob ihm an mir was aufgefallen ist? Er verneinte. Na, an meinen Augen? Er sagte nein. „Was denn?“ Na, mein Augenzittern? – „Ach was, das hab´ ich nicht bemerkt.“ Ich frage mich seither, ob der Nystagmus wirklich so auffällig ist. Oder sind die meistens Menschen wirklich so oberflächlich? Ich glaube ja, die Wenigsten achten darauf und die Wenigsten schauen einem direkt in die Augen. Bei mir kommt noch dazu, wenn ich mich direkt in dem Augenblick genau auf den Nystagmus konzentriere, scheine ich ihn weitgehend im Griff zu haben, – das empfinde ich jedenfalls so.

Ich kann nur von mir aus sagen, dass ich früher immer den direkten Blickkontakt vermieden habe. Was sollten nur die Leute denken, wenn meine Augen so zitterten? Drei Beispiele nenne ich kurz: Im Studium lästerten einige Studenten über einen schielenden Professor, ich hatte das bei vielen Vorlesung noch nie bemerkt. In meiner Ausbildung war alle drei Monate eine neue Abteilung angesagt. Ich war schon einige Wochen in der Abteilung. Eine brillentragende Mitarbeiterin berichtete einem Kollegen von ihrem Augenarztbesuch, der ihr abgeraten hatte, dunkle Gläser zu tragen. Ich fragte mich, warum sie wohl dunkle Gläser tragen wollte, bis ich später feststellte, dass diese Frau sehr stark schielte. Das war mir vorher nie aufgefallen. Ein paar Wochen später kam sie doch mit dunkler Brille, die sie dann immer trug. Genauso ging es mir einige Jahre später. Eine meiner Mitarbeiterinnen in der Abteilung schielte auch ganz stark, sie trug manchmal eine Brille am Computer, aber das ist mir einige Monate gar nicht aufgefallen. Ich vermied damals noch den direkten Blickkontakt, heute habe ich damit kein Problem mehr.

Doch zurück zum Thema: Jedenfalls haben mich meine beruflichen Seminare auch privat weiter bestärkt. Ich habe seit etwa dieser Zeit im Verein, in dem ich mich nebenbei sehr engagiert habe, Wochenendsemimare geleitet, Vorträge gehalten, Berichte in Mitgliederversammlungen bis 300 Personen vorgetragen, meistens frei ohne abzulesen, das hatte ich ja gelernt. Nystagmus hin oder her, ich hatte meine Grenzen noch nicht erreicht. Bei einem anwesenden Fernsehteam habe ich jedoch darum gebeten, mich nicht direkt aufzunehmen. Soweit war ich wirklich noch nicht, dass in Großaufnahme jeder meine zitternden Augen sieht.

Fortsetzung folgt.

*Name anonymisiert.