Seniorenkolumne Teil 2

65 Jahre mit angeborenem Nystagmus – Die neue Seniorenkolumne von Robert*

Nystagmus und Führerschein

Ich ging regelmäßig zum Augenarzt in die Kreisstadt, die Gläser wurden durch das Wachstum auch jedes Mal ein bisschen stärker. Von meinem ersten selbst verdienten Geld konnte ich mir eine neue Brille kaufen, diesmal war es kein Kassengestell. Kurz vor dem 18. Geburtstag stand natürlich wie bei jedem die Fahrschule an. Bevor ich mich anmelden konnte, musste ich wissen, ob ich überhaupt einen Führerschein machen darf, – dass ich keine 100 % sah, war mir klar. Optiker führten damals noch keine Sehtests durch. Der Augenarzt, bei dem ich fast 18 Jahre Patient war, schaute mich ungläubig an, nahm mir die Brille ab und ich sollte lesen, was an der Tafel stand. Ich war irritiert, plötzlich ohne Brille, ich erkannte gar nichts, noch nicht einmal den ersten großen Buchstaben oder eine Zahl. Der Augenarzt schüttelte den Kopf, und meinte, so könne er mir kein Sehgutachten geben. Mein Argument, dass ich doch nicht ohne Brille Autofahren möchte, löste ein Schmunzeln aus. Er könne mir ja eine Überweisung in die Augenklinik geben. Ich malte mir schon aus, wie es ist – ein Leben ohne Führerschein. Schließlich wohnte ich auf dem Dorf und da könnte es absolut schwierig werden. Meine Freunde waren inzwischen schon alle in der Fahrschule.

Ich wollte nicht so schnell aufgeben. Also ging ich mit meiner Überweisung in die Ambulanz der nächsten Universitäts-Augenklinik. Termine gab es nicht, also hieß es hingehen, anmelden und lange Wartezeiten in Kauf nehmen. Dann sah ich erst mal einen Assistenzarzt (oder war es ein Arzt im Praktikum?), und daraufhin kam die Vorstellung beim Oberarzt. Die Ärzte machten erst mal einige Untersuchungen, bevor es um das Gutachten ging. Natürlich stimmten meine Brillengläser nicht mehr mit dem Ergebnis überein. Ich bekam ein Gestell mit den neuen Gläsern aufgesetzt und wurde damit auf dem langen Flur einige Zeit zurückgelassen, bis ich endlich zum eigentlichen Sehtest für das Gutachten kam. Ich erfüllte die normalen Anforderungen, wie man mir erklärte, aber der Test bei Dunkelheit und Blendung ging total daneben. Ich weiß bis heute nicht, ob man mir nicht bei den vorherigen Untersuchungen Tropfen zur Pupillenerweiterung gegeben hatte. Es könnte durchaus sein, aber ich weiß es nicht mehr, ob es wirklich so war. Wenn es so war, dann konnte es nur schiefgehen. Ergebnis: Ich könnte den Führerschein machen, allerdings wird da ein Nachtfahrverbot eingetragen. Später wiederholte ich den Test mit meiner neuen Brille und entspiegelten Gläsern, und siehe da, ich bestand ihn auch bei Dunkelheit und Blendung. Das Gutachten sah nur vor, dass ich keinen LKW über 3,5 t (heute die Klasse B) oder Taxi fahren darf, was ich auch nie vorhatte.

Zur Erklärung: Für einen PKW-Führerschein muss man kurz zusammengefasst mindestens eine Sehfähigkeit mit dem besseren Auge und beidäugig von 50 % haben (kann man alles in der Fahreignungsverordnung im Internet nachlesen). Ich lag um einiges darüber, trotz Stress beim Sehtest, der das Ergebnis fast immer herabsetzt, weil der Nystagmus stärker wird. Ich kam also doch noch gut weg, da kenne ich einige Einschränkungen bei Anderen mit Sehschwäche von diversen Augenkliniken aus dieser Zeit (z.B. Geschwindigkeitsbeschränkungen von 100 km, einmal sogar 150 km, Anbringung von zwei zusätzlichen Außenspiegeln).

Mein Nystagmus hatte bei der Musterung zur Bundeswehr zur Folge, dass ich noch am gleichen Tag „ausgemustert“ wurde. Also statt damals 18 Monate Wehrdienst ging ich dann zwei Jahre zur Fachschule für Betriebswirtschaft, machte die Fachhochschulreife und studierte gleich anschließend noch Betriebswirtschaft mit Diplom-Abschluss. Eine kurze Begebenheit während einer Klausur: Ich geriet in Stress und Zeitnot. Plötzlich stand der Aufsichtsprofessor vor mir und starrte mich an. Ich wusste natürlich sofort, was los war. Mein Kopfwackeln war wohl sehr stark und auffällig. Ich stützte mit meinem Arm den Kopf ab und arbeitete weiter. Ohne Worte verschwand der Professor dann. Ähnliches hatte ich auch schon mal im Verein erlebt, als ich am Biertisch von Vereinskameraden emotional stark bedrängt wurde und einer sagte: „Da brauchst Du aber jetzt nicht mit dem Kopf zu wackeln.“ Ja, das ist wohl neben dem Nystagmus bei mir eine weitere Erscheinung, die bei starkem Stress auftreten kann. Inwieweit das öfters oder bei der normalen Büroarbeit oder am Computer auftritt – das weiß ich nicht, ich wurde noch nie darauf angesprochen.

Fortsetzung folgt.

*Name anonymisiert.