Christian ist 67 Jahre alt, mittlerweile Rentner und leidenschaftlicher Schlagzeuger. Er wuchs mit einem angeborenen Nystagmus und einer sehr starken Kurzsichtigkeit auf. Christian erzählte mir, wie er mit den Herausforderungen, welche die unterschiedlichen Jahrzehnte mit sich brachten, umgegangen ist, wie er seinen Weg zur Musik immer weiter verfolgte, was seine Lehre als Schlosser für Schwierigkeiten brachte und welche Auswirkungen eine Operation hatte. Was das Ganze mit der Idee für ein Buch zu tun hat, besprachen wir ganz am Ende.
Christians Kindheit und die faszinierenden grünen Schnüre
Christian ist in einer ländlichen Gegend in den 50er/60er Jahren aufgewachsen. Er war seit seiner Geburt stark kurzsichtig und hatte einen Nystagmus. Seine Brille hatte Stärke -8,5. Christians Nystagmus wurde allerdings in seiner Kindheit so noch gar nicht erkannt, denn zum einen stand die starke Kurzsichtigkeit im Vordergrund und zum zweiten war die Medizin noch nicht auf dem Wissensstand, den sie heute hat, wobei auch heute definitiv noch mehr möglich ist und auch weiter geforscht wird.
Christians Kindheit lief unter dem Motto: „Das ist eben so“ ab. Niemand hinterfragte seine Sehfähigkeit oder suchte nach konkreten Lösungen. Doch das ließ ihn als Jungen nicht seine Träume aufgeben. Zum Beispiel wollte er während des Hausbaus seiner Eltern zu grünen Schnüren, die dort auf dem Grundstück gespannt waren. Jedoch ist es so, dass grün und rot durch die Seheinschränkung bei ihm nicht so gut zu erkennen waren. Da Christian auch schon mal über die Schnüre stolperte, durfte er bald nicht mehr dorthin gehen. Christians Neugier brachte ihn doch immer wieder zu diesen grünen Schnüren. Er fand sie einfach faszinierend und spannend. Das ist ein Beispiel für Christians fröhliche und kindliche Neugier und Freude, die ihm bis heute geblieben ist.
Schule und Schlosserlehre mit Schwierigkeiten
In der Schule fingen dann für Christian aufgrund seiner Sehbehinderung die Hänseleien und der Ärger mit seinen Mitschüler:innen an. Christian war es gar nicht bewusst, dass er anders sieht als die anderen. Er musste durch seine Kurzsichtigkeit immer in der ersten Reihe sitzen und durfte sogar aufstehen, falls er nichts sah, und vorne an die Tafel gehen, um das zu lesen, was dort stand. Prinzipiell hat Christian die Schulzeit trotz der Hänseleien, gut überstanden.
Als es dann darum ging, dass er eine Ausbildung beginnt, hatte er einen sehr wohlwollenden Lehrer, der ihm riet auf die Musikschule in Hannover zu gehen, um dort Musik zu studieren. Dieser Lehrer erkannte Christians Talent und Leidenschaft für die Musik und wollte ihm helfen, dies zu seinem Beruf zu machen. Das Schlagzeug hatte es Christian besonders angetan und so trommelte er häufig auf verschiedenen Dingen herum. Doch leider fand der Lehrer bei den anderen Erwachsenen kein Gehör. Christians Eltern wollten den angehenden Trommler nicht auf die Musikschule schicken, sondern ‚drängten‘ ihn stattdessen in eine Schlosserlehre.
Für ihn war das Problem an der Schlosserlehre im Zusammenhang mit Nystagmus die Genauigkeit im Zeichnen und im Zuschneiden. Damals war es noch mit Bleistift und ihr könnt euch vorstellen, wie klein das alles war. Unter anderem musste Christian Fenster aus Aluminium millimetergenau abmessen, was ihm sehr schwerfiel.
Die ganze Lehre war nicht angenehm. Und dann kam es auch dazu, dass ein Lehrling aus dem 3. Lehrjahr einen eigenen Fehler auf Christian schob, der selbst noch im zweiten Lehrjahr war. Diese Zeit war geprägt von Ärger, so dass Christian heute selbst sagt: „Meine Lehre war eine einzige Katastrophe. Ich hätte das gar nicht lernen sollen.“
Die Leidenschaft zur Musik – Christian der Musiker
Die Leidenschaft zur Musik hat Christian schon sehr früh entdeckt. Er wollte immer ein Instrument lernen, durfte es jedoch nicht. Mit 8 Jahren hat er die Beatles gesehen und da wurde ihm klar: „Ich will Schlagzeug lernen!“ Nachdem nun verhindert wurde, dass er auf die Musikschule nach Hannover kommt und er seine „katastrophale“ Schlosserlehre abgeschlossen hatte, beschäftigte er sich wieder nur mit der Musik. Er brachte sich das Schlagzeug spielen selbst bei – mit Unterstützung seines Talents und durch Abschauen bei anderen. Er konnte durch diese Leidenschaft und seinen Willen Schlagzeug zu spielen und Musik zu machen, sogar 1993 seine eigene Schlagzeugschule aufmachen, die bis vor kurzem auch noch geöffnet war.
Christian spielte auch mit seiner eigenen Band auf Hochzeiten und Schützenfesten oder ähnlichem. Manchmal spielte er in anderen Bands als Gastschlagzeuger. Dabei konnte er sich das Schlagzeug so gut beibringen, dass einmal ein Bassist aus dieser Band davon ausging, dass Christian Musik studiert hatte. In dieser Zeit bzw. in der Musikerwelt wurde Christian meistens wenig auf seinen Nystagmus und die Sehbehinderung angesprochen und kaum bis gar nicht damit gehänselt. Er war seiner Leidenschaft gefolgt und hatte seinen Weg gefunden.
Christians Operation und seine neuen Linsen
Vor drei Jahren entschloss sich Christian zu einem Augenspezialisten zu gehen. Er hatte auf dem linken Auge einen heftigen grauen Star, was ihn noch stärker beeinträchtigte. Der Augenarzt führte dann bei Christian eine Operation durch, die nicht nur den grauen Star behob, sondern auch seine Kurzsichtigkeit korrigierte, seine Werte änderten sich danach von -8,5 auf -2 und -1,7 . Dabei ließ sich Christian Kunststofflinsen einsetzen. Der Nystagmus konnte zwar nicht behoben werden, aber mit den Kunststofflinsen kann Christian besser sehen. Auch ist ihm durch die bessere Sehkraft erst jetzt der Nystagmus bewusst geworden und dass das Zittern an manchen Tagen stärker ist als an anderen Tagen. Auch das kenne ich selbst sehr gut, denn bei zu viel Stress überlappen die Bilder deutlich stärker und ich bekomme schnell sehr starke Kopfschmerzen.
Christian erzählte mir daraufhin, dass er seit sehr langer Zeit autogenes Training macht – regelmäßig morgens, manchmal mittags und abends. Dadurch sind die Kopfschmerzen und der Nystagmus nicht so anstrengend und Christian hat damit einen Weg gefunden entspannter mit dem Nystagmus zu leben.
Ein Buch über Nystagmus – Warum eigentlich nicht?
Am Ende unseres Gespräches fragte ich Christian was er, hätte er früher mehr über den Nystagmus gewusst, anders gemacht hätte und was er sich für die Zukunft wünscht bzw. was er vorhat.
Hätte Christian früher mehr über den Nystagmus gewusst und sich auch getraut früher offen damit umzugehen – also auch sich selbst so zu akzeptieren, wie er ist – hätte er anders auf manche Reaktionen reagieren können, die ihm von außen entgegengekommen sind.
Letztlich wurde er in vieles hineingedrängt, was er nicht ist und auch nicht kann aufgrund seiner Sehbehinderung. Trotzdem und das ist das Faszinierende und besondere an Christian, hat er seinen Weg zur Musik gefunden und sein Leben lang Musik gespielt. Christians Motto. „Ich mach mein Ding“.
Genau dieses Motto wird auch zukünftig aktuell bleiben. Denn aufgrund seiner Recherchen zu der Diagnose Nystagmus fällt Christian auf, dass es kein deutschsprachiges Buch gibt, welches auch die Erfahrungen mit dieser Seheinschränkung beschreibt. Da Christian nun durch verschiedene Jahrzehnte mit dem Nystagmus gegangen ist und sehr spät erst die Diagnose auch verstehen und herausfinden konnte, was da eigentlich mit ihm los ist, hat er eine Idee – ein Buch zu schreiben. Ich denke, genau solch ein Buch könnte vielen helfen. Vor allem auch den Betroffenen verdeutlichen: „Du bist nicht allein und du bist trotzdem ganz normal“, denn jeder hat seine Stärken und Talente woanders – wie hier bei Christian und seiner Leidenschaft zur Musik zu sehen ist. Frei nach dem Motto: „Mach Dein Ding!“
Werde Teil unserer Nystagmus-Galerie
Hallo, ich bin Eleni und habe seit meiner Geburt einen Nystagmus.
Unter dem Motto „Ich habe einen Nystagmus – du auch?“ lade ich für den Verein Nystagmus Netzwerk e.V. Menschen mit Nystagmus zum Gespräch ein. Wir lernen uns kennen, plaudern über unsere Erfahrungen und im Anschluss daran gestalte ich ein kleines Porträt von dir mit Text und Foto. So entsteht nach und nach eine Nystagmus-Galerie. Ziel der Galerie ist es, Menschen mit Nystagmus einen Raum des Austausches zu bieten und ein Bewusstsein für das Leben mit Nystagmus zu schaffen. Weitere Infos dazu findest du hier.
Text: Eleni Iatridi