Im Rahmen unserer Nystagmus-Galerie möchte ich euch heute Julia vorstellen.
Julia ist 35 Jahre alt, kurzsichtig und hat einen angeborenen Nystagmus. Dieser wurde bei ihrer Geburt zwar diagnostiziert, aber die Ursache konnte von den Ärzten weder damals noch später klar benannt werden.
Nystagmus während der Schul- und Studienzeit
Julia hat ihre Schulzeit wunderbar gemeistert. Schon im Alter von vier Jahren konnte sie lesen. In der Grundschule hat sie sogar eine Klasse überspringen dürfen. Der Nystagmus zeigte sich in Details. So fiel es ihr schwer, auf den Zeilen zu schreiben, und sie hatte Probleme in der Arbeit mit Overhead-Projektoren und Beamern. Auch im Sportunterricht gab es eine kleine Schwierigkeit: Ball spielen war nicht immer einfach. Viele von uns Nystagmus-Betroffenen kennen das. Das wackelige Sichtfeld kann bei solchen Tätigkeiten Schwierigkeiten bereiten, wenn es darum geht, Entfernungen klar einzuschätzen.
Negative Auswirkungen des Nystagmus zeigten sich bei Julia vor allem durch eine Kopfzwangshaltung nach oben. Nicht nur, dass sich durch diese Haltung die Muskulatur verkrampfen kann, Mitschüler deuteten dies während der Grundschulzeit sogar als Arroganz. Da die meisten Mitschüler oder auch Bekannte kaum Informationen über den Nystagmus haben, kann Unverständnis entstehen. Für Julia stellt diese Kopfzwangshaltung heute überhaupt kein Problem mehr dar. Durch eine Operation konnte diese korrigiert werden.
Führerscheinprüfung bestanden!
Viele von uns, die einen Nystagmus haben, können keinen Führerschein machen oder bangen beim Sehtest. Julia hat den Führerschein gemacht! Sie fährt gerne Auto. Doch würde sie es sofort stehen lassen, sobald die Sehkraft nachlassen sollte. Einparken ist aufgrund des Nystagmus nicht immer einfach, als umsichtige Fahrerin kann sie ihre Grenzen aber gut einschätzen. So kommt sie gut im Straßenverkehr zurecht.
Nach der Schulzeit studierte Julia Romanistik und Anglistik. In ihrer anschließenden Tätigkeit als Dozentin fiel Julia vermehrt auf, dass sie durch ihre Fehlsichtigkeit nicht genau erkennen konnte, welcher Student sich gerade zu Wort meldete. Während sie im Nahbereich gut sehen kann, hat der Nystagmus in solchen Alltagssituationen doch Auswirkungen auf das Berufsleben.
„Warum kommen Sie erst jetzt?“
Unter anderem waren es solche Beschwerden im Berufsleben, die Julias Augenarzt dazu veranlassten, sie letztendlich an die Universitätsklinik Köln zu überweisen.
Mit den ersten Untersuchungen in der Uniklinik begann für Julia eine neue Zeit. Das Augenzittern wurde durch die Diagnose vertikaler Rucknystagmus fassbar und drei verschiedene Operationen sorgten für eine Verbesserung ihrer Beschwerden. Die Ärzte fragten „Warum kommen Sie erst jetzt?“ und wussten professionell mit dem Thema Nystagmus umzugehen. Sie halfen ihr nicht nur dabei, ihren Nystagmus zu verstehen, sondern konnten die Auswirkungen durch Operationen konkret verbessern. Nach einer Kestenbaum-Operation nahm die Zwangshaltung des Kopfes so sehr ab, dass Julia seitdem sogar den Kopf gerade halten kann.
Diese an sich gelungene Operation brachte kurzzeitige Nebenwirkungen mit sich. So litt Julia in der ersten Zeit nach der Kestenbaum-Operation unter Doppelbildern. Doch schon bald verschwanden diese. Dafür hatten sich die Lider wie bei einem Schlafzimmerblick gesenkt und wurden noch einmal operativ gerichtet.
Es folgten Experimente mit Prismenfolien und eine Revisionsoperation an zwei Augenmuskeln. Nach nun insgesamt drei Operationen fühlt sich Julia in ihrer Arbeit als Programmbereichsleiterin in der Erwachsenenbildung sehr wohl. Sie arbeitet meistens im Büro am PC, trägt abwechselnd Brille und Kontaktlinsen und genießt das Autofahren. In manchen Dingen ist sie auch heute noch etwas eingeschränkt: zum Beispiel hat sie ab und zu Balanceprobleme beim Treppensteigen und geht daher Treppen ohne Geländer nur ungerne hinunter. Unterwegs erkennt sie die Gesichter bekannter Personen manchmal etwas spät, was schon zu einigen peinlichen, aber auch lustigen Situationen geführt hat. Insgesamt sind die Einschränkungen in den vergangenen Jahren aber deutlich zurückgegangen und Julia lebt nun ein ganz normales Leben.
Werde Teil unserer Nystagmus-Galerie
Hallo, ich bin Eleni und habe seit meiner Geburt einen Nystagmus.
Unter dem Motto „Ich habe einen Nystagmus – du auch?“ lade ich für den Verein Nystagmus Netzwerk e.V. Menschen mit Nystagmus zum Gespräch ein. Wir lernen uns kennen, plaudern über unsere Erfahrungen und im Anschluss daran gestalte ich ein kleines Porträt von dir mit Text und Foto. So entsteht nach und nach eine Nystagmus-Galerie. Ziel der Galerie ist es, Menschen mit Nystagmus einen Raum des Austausches zu bieten und ein Bewusstsein für das Leben mit Nystagmus zu schaffen. Weitere Infos dazu findest du hier.
Text: Eleni Iatridi