Monika ist 54 Jahre alt und hat einen angeborenen Nystagmus und diagnostizierten Albinismus. Die offizielle Diagnose der Sehbehinderung kam zwar erst viele Jahre später, brachte sie aber letztendlich zu mehr Selbstbewusstsein. Was ein Stock damit zu tun hat und wie Monika mit schwierigen (Lebens-)Situationen umgeht, möchte ich Euch heute erzählen. So viel sei vorweggenommen: Monikas positive Eigensinnigkeit und ihr Mut sind beeindruckend und für uns alle motivierend.
Kindheit und Jugend mit Nystagmus – „Aus dem Kind wird nichts.“
Die Kindheit von Monika ist geprägt von dem Satz „Aus dem Kind wird nichts“. Sie ist eins von vier Geschwistern und meistens wurde sie allein gelassen. Das führte aber dazu, dass Monika dann einfach die Dinge gemacht hat, die sie machen wollte. Monika wollte zum Beispiel immer ein Fahrrad haben, aber sie hat es nie bekommen, da sie durch den Nystagmus nicht so gut sehen konnte. Mit einem Lächeln sagt sie: „Aber ich habe in einer Siedlung mit vielen Kindern gelebt.“
Dieses Lächeln zeigt ihre liebevolle und doch auch konsequente Art, mit der sie Schwierigkeiten begegnet. So fehlte zwar innerhalb ihrer Familie der stärkende Rückhalt, doch durfte sie mit sechs Jahren schon allein auf den Bauernhof in der Nachbarschaft gehen und nutzte das natürlich, um ihr Ding zu machen. Auf dem Bauernhof lernte sie, sich selbstständig zu bewegen und erntete dort auch oftmals Lob, der sie in sich stärkte.
Was hat das alles mit ihrer Sehleistung zu tun? Monika hatte zwar seit sie 5 Jahre alt war eine Brille, aber niemand konnte wirklich mit ihrer Sehbehinderung umgehen, außer dass das Urteil fiel, aus ihr würde nichts werden. Ein weiterer Schicksalsschlag kam als Monika 14 Jahre war. Ihre Mutter verstarb. Damit war sie für eine lange Zeit auch das letzte Mal bei einem Augenarzt. Man ließ Monika wissen, dass sich ihre Situation nicht ändern kann, aber wirklich darüber gesprochen hat mit ihr niemand. So wurde Monikas Sehschwäche lange zu einem Tabu erklärt. Dennoch fand Monika immer wieder selbst Mut, auch mit all den schwierigen (Lebens-)Situationen weiterzumachen und ihr Ding durchzuziehen, ohne abzurutschen.
Ich habe Monika gefragt, ob es für sie fühlbar oder bewusst war, dass sie anders sieht als die anderen. Sie selbst hat es nicht so wahrgenommen, erst die Reaktionen der anderen Menschen zeigten ihr, dass etwas anders ist. Gerade das Treppen hinuntergehen machte ihr Schwierigkeiten, – was wir sicherlich alle auch kennen, – und dies war immer ein Punkt, wo sie sich anders verhielt und bis heute auch verhält. Monika braucht für das Treppensteigen etwas, woran sie sich festhalten kann. Da sie es weiß, sucht sie sich die passenden Hilfsmittel und kann so gut mit dieser Problematik umgehen. Mit ihrer positiven Art findet sie Lösungen. Wenn etwas nicht funktioniert, öffnet sie sich mit einem fast schon trotzigen „Ich kann das“ die Türen zu neuen Lösungswegen.
Auch wenn viele Menschen in Monikas Umfeld davon ausgingen, dass aufgrund der Schwierigkeiten beim Sehen aus ihr nichts wird, war sie gut in der Schule und ist heute Kitaleiterin. Eine Leiterin, die Grenzen kennt und setzen kann und dennoch wohlwollend bleibt.
Mit der Offiziellen Diagnose beginnt Monika ihren persönlichen Weg
Angeregt durch eine Bekannte ging Monika erst mit 30 Jahren wieder zu einem (Augen-)Arzt, von dem sie nun auch die offizielle Diagnose Albinismus mit einhergehendem Nystagmus erhielt. Da es damals wenig öffentlich zugängliche Informationen zu diesen Fachbegriffen gab, nahm Monika anfangs die Diagnose erst einmal hin und es änderte sich nicht so viel. Wäre es nach den Ärzt:innen gegangen, wäre das auch so geblieben.
Doch Monika wäre nicht Monika, wenn sie lange tatenlos geblieben wäre. Schon nach Kurzem fing sie an, sich mit der Diagnose auseinanderzusetzen. Ihre Priorität lag und liegt darauf, das Leben zu leben. Das fehlende Informationsangebot hinderte sie nicht daran, genauer hinzuschauen.
Durch die Arbeit und Ausbildung in der Kitaleitung lernte Monika hinzuschauen, was die Reaktionen der anderen mit ihr selbst zu tun haben. Also wo liegen die Parallelen? Warum reagiert das Gegenüber jetzt so und nicht anders? Und was hat das Ganze mit ihr selbst zu tun? Gerade die Beziehungen in der Arbeit und auch im Privatleben litten unter dem Nystagmus und dem Albinismus. Durch das eingeschränkte Sehvermögen erkennt Monika oft nicht, ob jemand gerade versucht Kontakt mit ihr aufzunehmen oder in welcher Art und Weise gerade Kontakt aufgenommen werden muss. Viele von uns kennen das. Um das zu verstehen und auch um sich selbst zu verstehen, hat Monika begonnen sich mit ihrer Diagnose auseinanderzusetzen. Dies führte Monika zu einem immer liebevollerem Umgang mit sich selbst. Gefühle von Selbstliebe und Selbstannahme, die ihr in der Kindheit nur spärlich vermittelt wurden, eignete sie sich so nach und nach an.
Parallel dazu führte Monikas Hunger nach mehr Wissen sie über mehrere Etappen dazu, das Tabu ihrer Kindheit zu brechen und sehr wohl über ihr Thema zu sprechen.
Als Erstes informierte sich Monika auf der Webseite der Noah – Albinismus Selbsthilfegruppe e.V., um ihre Diagnose zu verstehen. Der zweite Schritt war der Gang zum Schweizer Blindenbund, wo sie sich verschiedene Beratungen (Low-Vision) und Trainings (unter anderem mit einem Blindenstock) holte. Mit den Beratungen und der Aufklärung von Monikas Krankheitsbild konnte sie nun verstehen, was mit ihr los war. Sie fühlte sich befreit von Schuldgefühlen – wie z.B. sie sei nicht richtig, könne nichts und reagiere deswegen zuweilen aggressiv – und entschied sich sie zu ihrem, wie sie es liebevoll nennt, „Coming-Out“.
Den zweiten Teil findest du hier.
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Hallo, ich bin Eleni und habe seit meiner Geburt einen Nystagmus.
Unter dem Motto „Ich habe einen Nystagmus – du auch?“ lade ich für den Verein Nystagmus Netzwerk e.V. Menschen mit Nystagmus zum Gespräch ein. Wir lernen uns kennen, plaudern über unsere Erfahrungen und im Anschluss daran gestalte ich ein kleines Porträt von dir mit Text und Foto. So entsteht nach und nach eine Nystagmus-Galerie. Ziel der Galerie ist es, Menschen mit Nystagmus einen Raum des Austausches zu bieten und ein Bewusstsein für das Leben mit Nystagmus zu schaffen. Weitere Infos dazu findest du hier.
Text: Eleni Iatridi