Der Nystagmus Open Day unserer britischen Freunde fand dieses Jahr online statt. Viele Inhalte sind vorab aufgezeichnet worden und nach einer Anmeldung immer noch bis Ende Oktober verfügbar. Zu Veranstaltungsbeginn hatten sich 427 Menschen angemeldet. Unter den aufgezeichneten Inhalte sind Interviews mit Menschen mit Nystagmus oder Akteur:innen, die mit ihnen arbeiten. Ebenso berichten in den Videos verschiedene Forschungsgruppen über aktuelle Erkenntnisse der Nystagmus-Forschung.
Zusätzlich zu den Aufzeichnungen gab es noch mehrere Foren zum Austausch von Betroffenen, ein Quiz und ein Dinner-Event, bei dem man ebenso mit Forschenden in Kontakt treten konnte. Da wir schon einige Aktive im britischen Verein wie auch Nystagmus-Forscher:innen kennen, war es schön, die deutsch-britischen Beziehungen weiter zu pflegen und Neues zu erfahren. Ein besonderer Dank geht an die Mitarbeiterin und Organisatorin Sue Ricketts, die wir hoffentlich nächstes Jahr wieder persönlich treffen können. Einen kleinen amüsanten Patzer gab es auch: Bei einem Interview plauderte Sue aus Versehen die Verlobung ihrer Tochter aus, weshalb noch etliche Glückwünsche an ihre Tochter (selbst Nystagmus-Betroffene) und deren Verlobten auf digitalem Wege mitgeteilt wurden.
Highlights des digitalen OpenDays 2020
Eine besondere Gastrednerin für den virtuellen Tag war Joanne Roughton-Arnold. Sie hat angeborenen Nystagmus und ist Geigerin, Sopranistin sowie Gründerin von FormidAbility – Das weltweit erste Opernunternehmen, das Barrierefreiheit als Grundlage für den kreativen Prozess von Anfang an mitdenkt. Im Video unterhält sich Joanne mit Sue Ricketts über das Aufwachsen mit Nystagmus und teilt ihre Gedanken über eine Karriere in den darstellenden Künsten. Durch den Kontakt zum Nystagmus Network UK hat sie z.B. herausgefunden, warum sie kein gutes räumliches Sehen hat und Abstände nicht einschätzen kann. Das war sehr wertvoll für sie. Sie wurde auch schon gefragt, ob sie jemals von der Bühne runtergefallen sei und fand das weniger lustig. – „Muss man das fragen?“ ist ihre Aussage zu dieser Frage. „Get out there and fly!“ möchte sie anderen mit Nystagmus sagen. Ihre Mutter hat sich immer viele Sorgen gemacht, aber sie wollte alles selbst probieren.
Es gibt noch weitere inspirierende und informative Beiträge, die man bis zum 31. Oktober nach einer Anmeldung kostenlos anschauen kann. Im Beitrag “Boosting Resilience with Alison Blackman” beschreibt Alison, wie sie die Resilienz bei Kindern und jungen Menschen mit Nystagmus fördert. Sie schildert einen Fall, bei dem sie ein junges Mädchen in ihrer Schule begleitete. Alison ermutigte sie mit pädagogischer Hilfe eine Präsentation über ihren Nystagmus zu halten. Dass alle Lehrer:innen ebenso dabei sein sollten, wollte vor allem das Mädchen, denn die Lehrer hatten viel über ihre Sicht der Welt zu lernen.
Highlights aus der Forschung
Unter anderem stellte die Forschungsgruppe der Universität Southampton ihre aktuellen Ergebnisse vor. Und hier wird es richtig spannend: Wie von uns bereits berichtet, arbeitet Dr. Helena Lee an einem Medikament, dass die Entwicklung der Augen bei Babys mit Albinismus unterstützen soll. Durch die medikamentöse Anregung zur Farbstoffproduktion könnte so das Entstehen einer Sehbehinderung bei Babys mit Albinismus verhindert werden. Um wirklich sicher zu gehen, dass ein Medikament verwendet werden darf, muss es zunächst in verschiedene Testphasen gehen. Bei Mäusen mit Albinismus schlug das Medikament gut an und sie entwickelten eine gute Sehfähigkeit. Schon 2021 wird Helena Lee in die Testphase mit menschlichen Proband:innen gehen dürfen. Das heißt, es gibt gute Aussichten, dass Babys mit Albinismus bald eine neue Therapiemöglichkeit bekommen, die sogar die Sehbehinderung verhindert. Ganz wichtig sind hierfür genaue Diagnosen zu Nystagmus und der jeweiligen Ursache. Deshalb können wir nicht oft genug dafür plädieren, wie wichtig es ist, dass deutsche Kliniken aktuelle Forschungsberichte verfolgen und die Notwendigkeit genauer Diagnostik auch durch Gentests erkennen. Wenn ein Medikament für Babys mit Albinismus auf den Markt kommt, ist es wichtig, dass auch (partielle) Albinismus-Formen schnell erkannt werden und Babys zügig einen Gentest bekommen, nur so können sie richtig behandelt werden.
Professor Jonathan Erichsen von der Universität Cardiff gab einen allgemeinen Überblick über seine Forschungsgruppe und deren bisherigen Ergebnisse. Sein Team hat u.a. nachgewiesen, dass Menschen mit Nystagmus häufig längere Zeit brauchen, um zu sehen, ebenso mehr Zeit, um Text zu lesen. Prof. Erichsen versuchte außerdem mit einigen Mythen aufzuräumen, insbesondere, was die Relation von Augenbewegungen und Sehschärfe bei angeborenem Nystagmus betrifft. Er konnte in einigen Tests nachweisen, dass bei einzelnen Individuen mit angeborenem Nystagmus die Sehschärfe nicht automatisch steigt, wenn der Nystagmus verlangsamt wird. Die Testergebnisse und damit verbundene Diskussionen sind allerdings sehr komplex, gerne berichten wir auf Anfrage mehr hierüber.
Videos (auf Englisch) sind verfügbar bis zum 31.10.2021
Anmeldung unter: https://www.eventbrite.co.uk/e/nystagmus-network-virtual-open-day-tickets-118016180573
Webseite des britischen Nystagmus Netzwerks: https://nystagmusnetwork.org/
Redaktion: Hanna Piepenbring