Motorradfahren mit Nystagmus. Geht das überhaupt? Jeder Nystagmus ist anders. So sind auch die Lebensgeschichten der Menschen unterschiedlich. Heute stelle ich euch im Rahmen unserer Nystagmus-Galerie Niklas vor, der ein begeisterter Motorradfahrer ist.
Förderung schon in der Grundschule
Niklas ist 21 Jahre alt und kommt aus Magdeburg. Seit einiger Zeit wohnt er in Berlin und macht ein duales Studium im Gartenbau.
Niklas hatte das Glück, schon von der Grundschule an aufgrund seines Nystagmus, Unterstützung durch einen Förderlehrer und einen Förderplan zu bekommen. Im Rahmen dieses Förderplans wurde vieles umgesetzt, um ihm die Schulzeit zu erleichtern:
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- Vorne sitzen in der ersten Reihe
- Einsatz einer Lineallupe beim Lesen
- Vorgaben für die Lehrer bei der Wahl der Kreide: Die Lehrer wurden darüber informiert, bestimmte Farben nicht an der Tafel zu benutzen. Darunter fallen rot und grün, da diese nicht so gut sichtbar sind.
- Kopien: Er bekam Kopien der Folien, die am Overhead Projektor gezeigt wurden. Da sich durch den Nystagmus der Fokus beim Hoch- und Herunterschauen verlangsamt, war dies hilfreich.
- Kamera: Im Gymnasium bekam er ein Kamerasystem, das mit dem Laptop verbunden war. Damit konnte er Arbeitsblätter vergrößern und auch das Tafelbild nah heranholen oder Kontraste einsetzen. Das Kamerasystem hatte den Nachteil, dass es beim Wechseln des Klassenraums sehr sperrig war, da es abgebaut und wieder aufgebaut werden musste. Und es brachte letztendlich doch nicht so viel, wie er sich erhofft hatte.
- Tablet: Als in den höheren Klassenstufen im Gymnasium mit digitalen Medien gearbeitet wurde, bekam Niklas ein Tablet. Auf diesem konnte er Arbeitsblätter beliebig vergrößern und so seinen Möglichkeiten anpassen.
- Befreiung von Ballsportarten: In der Schule gab es durch den Nystagmus beim Ballsport Schwierigkeiten, z.B. beim Tischtennis oder Basketball. Davon war er befreit.
Der Förderbedarf in der Schulzeit lief nur bis zum Beginn der Oberstufe. Lediglich die Abituraufgaben bekam Niklas am Ende der Schulzeit noch auf A3.
Der Nystagmus veränderte sich im Laufe seines Lebens
Sowohl die Sehfähigkeit als auch die Geschwindigkeit der Nystagmusbewegungen haben sich bei Niklas im Laufe seines Lebens geändert.
So wurde der angeborene Nystagmus im Alter von sechs Wochen zum ersten Mal diagnostiziert. Während der Grundschulzeit gab es eine Phase, in der Niklas eine Sehstärke von gerade mal 25-30% hatte. Heute, mit 21 Jahren, haben die einzelnen Augen 60% und gemeinsam kommen sie sogar auf 80% Sehfähigkeit.
Neben der Sehleistung haben sich auch die durch den Nystagmus verursachten Augenbewegungen verändert. So haben sie sich in den vergangenen Jahren verlangsamt. Nur bei Aufregung oder Stress werden die unwillkürlichen Augenbewegungen wieder schneller. Niklas selbst merkt es nicht. Wie bei vielen anderen von uns, wird er von seinen Freunden darauf hingewiesen.
Ohne OP, doch mit Kontaktlinsen
Niklas hat gemeinsam mit seinen Eltern nach verschiedenen Lösungen für den Umgang mit seinem Nystagmus gesucht. So bewegte sie auch die Frage, ob eine Operation hilfreich sein könne. Dazu ließ er sich in der Augenklinik in Heidelberg untersuchen und beraten. Die Ergebnisse dieser Konsultation zeigten, dass die Wahrscheinlichkeit einer Besserung nach einer Operation bei höchstens 50% lag. Doch brachte die OP auch eine hohe Wahrscheinlichkeit mit sich, das Folgeoperationen nötig werden könnten. So entschied sich Niklas gegen eine Operation.
Seit zirka 10 Jahren ist Niklas zusätzlich kurzsichtig und trägt Kontaktlinsen. Sein Augenarzt war anfangs dagegen. Doch seine Optikerin sprach sich für einen Versuch aus. Gemeinsam mit ihrer fachkundigen Beratung wählte Niklas hochwertige, flexible Linsen und ist seitdem sehr zufrieden mit dieser Lösung.
Positive Wirkung durch Training der Augen
Niklas hat seine Sehschärfe selbst trainiert. Eine einfache Übung, die sehr effektiv war, hat er mir für euch verraten: streckt einen einzelnen Finger aus und haltet ihn vor eure Nase. Nun bewegt ihr den Finger abwechselnd nach links und nach rechts und folgt ihm dabei mit euren Augen. Dabei sollte der Kopf sich nach Möglichkeit nicht bewegen. Lediglich die Augen werden bewegt, während sie dem Weg des Fingers folgen. Probiert es mal aus!
Da Niklas insbesondere während der Abizeit unter stressbedingter Migräne litt, suchte er auch nach Möglichkeiten, um die Augen zu entspannen. Sein Tipp dazu: Schlafen. Klingt einfach und doch vergessen wir es im Alltagstrubel. Auch wenn ein Nickerchen nicht möglich ist, so hilft es, die Augen kurzzeitig zu schließen, um sie zur Ruhe kommen zu lassen. Das hat Niklas schon in der Schulzeit praktiziert. So hat er im Laufe des Tages immer mal wieder die Augen geschlossen und den Kopf hingelegt, um die Augen zu entspannen.
Begeisterter Motorradfahrer trotz Nystagmus
Wie viele von uns hörte Niklas in jungen Jahren von seinem Augenarzt, dass er den Führerschein aufgrund seiner verminderten Sehfähigkeit nicht machen könne. Da Niklas dennoch mobil sein wollte, ließ er sich von dieser Prognose nicht abschrecken. Indem er seine Sehleistung mit regelmäßigem Augentraining verbesserte, schaffte er nacheinander Mofa-, Auto-, und Motorradführerschein.
Dieser Weg zu einem seiner heutigen Hobbys begann mit Bestehen eines ausgedehnten Sehtests mit 15 Jahren. Die Ergebnisse des Tests waren zufriedenstellend und so wurde ihm erlaubt, den Mofaführerschein zu machen. Nach erneut bestandenem Sehtest kamen zirka zwei Jahre später der Führerschein fürs Auto und für das Motorrad dazu. Heute ist Niklas ein begeisterter Motorradfahrer und Autofahrer.
Zu seinen weiteren Hobbys gehören Klettern und Tennisspielen. Auch wenn es beim Tennis aufgrund des Nystagmus früher Schwierigkeiten gab, so hat Niklas für sich entdeckt, dass er mittlerweile sehr gerne spielt. „Wenn ich will und mich anstrenge, dann klappt es“, so erklärt er sich, dass heute eine der Ballsportarten zu seinem Hobby geworden ist, bei der man mit der Diagnose Nystagmus oft mit Schwierigkeiten rechnen muss. Niklas sagt selbst: „Mein Motto ist: DO WHAT YOU CAN’T! – Lass dir niemals von jemanden einreden, dass du etwas nicht kannst! Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Lass die Hater und Zweifler ihren Champagner auf der Titanic trinken und sei der Eisberg und beweis‘ ihnen das Gegenteil!“
Werde Teil unserer Nystagmus-Galerie
Hallo, ich bin Eleni und habe seit meiner Geburt einen Nystagmus.
Unter dem Motto „Ich habe einen Nystagmus – du auch?“ lade ich für den Verein Nystagmus Netzwerk e.V. Menschen mit Nystagmus zum Gespräch ein. Wir lernen uns kennen, plaudern über unsere Erfahrungen und im Anschluss daran gestalte ich ein kleines Porträt von dir mit Text und Foto. So entsteht nach und nach eine Nystagmus-Galerie. Ziel der Galerie ist es, Menschen mit Nystagmus einen Raum des Austausches zu bieten und ein Bewusstsein für das Leben mit Nystagmus zu schaffen. Weitere Infos dazu findest du hier.
Text: Eleni Iatridi
Redaktion: Hanna Piepenbring